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Schafft der Rat sich ab?

Schlimmer geht immer. Diese Redewendung scheint für den Celler Stadtrat zum Leitmotiv zu werden. Der Haushalt 2018 fand nur eine Mehrheit, weil zwei Ratsmitglieder in der geheimen Abstimmung nicht der Linie ihrer Fraktion folgten. Warum ist das trotdzem für Oberbürgermeister Nigge und die CDU-Fraktion ein politischer GAU?

Der Haushalt ist das zentrale Instrument des Rates darüber zu entscheiden, was in den nächsten zwölf Monaten und mittelfristig in dieser Stadt passiert. Die Verwaltung mit dem Oberbürgermeister an der Spitze bringen einen Haushaltsentwurf ein, aber im Rat muss sich für diesen Haushalt dann eine Mehrheit finden. Die größte Fraktion im Stadtrat ist die CDU. Die verfügt über 15 Sitze. Als Verbündete können sie auf ihrer Seite die je zwei Mandate von der FDP und den UNABHÄNGIGEN verbuchen. Dazu kommt die Stimme des Oberbürgermeisters. Das sind zusammen 20 Stimmen. Da der Rat - in voll angetretener Besetzung 43 Mitglieder hat - fehlen dem "bürgerlichen Block" zwei Stimmen. Bei der Postenverteilung zu Beginn der Ratsperiode verließen sie sich - unangenehm genug - auf die vier Stimmen der AfD. Mit diesen Stimmen aber können sie beim Haushalt nicht rechnen, denn die AfD lehnt den Haushalt z.B. wegen der "Zuwanderungsagentur" oder dem geplanten Bauhof auf dem Gelände der Hohen Wende ab. Was tun?

Normal wäre, wenn der "bürgerliche Block" und ihr Oberbürgermeister sich bei den anderen Fraktionen im Rat weitere Partner suchen würden. In Landesparlamenten und im Bundestag kennen wir das als Bildung von Koalitionen. Wichtigster Akteur sollte dabei - in der Regel - die größte Fraktion sein, in Celle also die CDU. Doch sie verzichtet - nicht erst seit gestern - darauf, stabile Mehrheiten anzustreben. Das war vielleicht noch verständlich, als sie mit bzw. gegen einen SPD-Oberbürgermeister agieren musste. Jetzt ist der Verwaltungschef einer der ihren, also wäre es eine politsiche Selbstverständlichkeit, für ihn Mehrheiten im Rat zu organisieren. Insoweit ist, was jetzt bei der Abstimmung über den Haushalt passierte, ein komplett politisches Versagen.

Wer am Ende dem Haushalt eine Mehrheit verschafft hat, bleibt im Dunklen, weil die CDU-Fraktion sich über eine geheime Abstimmung rettete. Das bekam eine Mehrheit, weil die AfD-Fraktion sich beim CDU-Antrag zur geheimen Abstimmung enthielt. Trotdzem ist nicht automatisch davon auszugehen, dass die beiden Überläuferstimmen von der AfD kamen. Spekulationen am Rande der Ratssitzung gingen am Ende eher in Richtung SPD.

Oliver Müller, Vorsitzender der Fraktion Die Linke/BSG, hat schon in der Rede zum Haushalt die erwartbare Situation aus Verzicht auf Politik kritisiert. Daneben waren seine beiden Hauptthemen der Nordwall und die Jugendhilfe.

Hier die ganze Rede im Wortlaut:

Ich will versuchen, es heute etwas ruhiger zu machen als kürzlich im Finanzausschuss. Aber selbstverständlich muss ich auf das Thema zu sprechen kommen, das mich in besonderer Weise aufregt.

Für den sogenannten „Äußeren Ring“, das heißt die gegenläufige Befahrbarkeit des Nordwalls, hat die Verwaltung alle Ansätze für 2018 und 2019 herausgenommen. Und die Politik hat das mit
keiner Frage gewürdigt.Was heißt das?

Das Projekt ist krachend gescheitert. Mich überrascht es nicht. Aber dass die Verwaltung es nicht für nötig erachtet, den Rat mal über das Scheitern zu informieren, finde ich beachtlich.

Jetzt kann es nur noch darum gehen, aus einem von vornherein unsinnigen Straßenbauprojekt etwas Sinnvolles zu machen: nämlich die städtebauliche Aufwertung des Quartiers. Denn um nichts anderes ging es eigentlich im Kern. Doch was ist daraus geworden? Nicht mehr als die fixe Idee einer Ausfallstraße aus dieser Stadt ist übrig geblieben. Der CDU-Ortsbürgermeister sagt im Sommer in der CZ, dass dies Projekt sich überholt habe, seine Ratsfraktion hingegen äußert sich besser gar nicht dazu.

Die Stadt kauft ein Gebäude nach dem anderen – und macht nichts anderes, als diese Gebäude zu entmieten und verkommen zu lassen. Aber – und das ist jetzt wohl das Problem – es wollen einfach nicht alle verkaufen. Hätte die Stadt ernst genommen, was die Besitzer von Beginn an gesagt haben, hätten wir uns dieses Desaster sparen können.

Ich habe mal überschlagen was nach den bisherigen Ankäufen monetär nicht ins Stadtsäckel fließt:

4 Gewerberäume und mindestens 19 Wohnräume stehen, zum größten Teil schon seit mehreren Jahren leer. Eine kleine, sehr vorsichtige Rechnung: Es handelt sich um ca. 500 m² Gewerbefläche und ca. 600 m² Wohnfläche. Wenn ich eine Wohnraummiete von 3€/qm annehme, und sie wissen, dass es selbst in Paulmanshavekost teurer ist , und für das Gewerbe 6 €/qm, dann komme ich inklusive eines seit Jahren unbewirtschafteten Hotels plus 2er Parkplätze, die offenbar auch keinerlei Nutzung seit vier Jahren erfahren auf einen, wie gesagt vorsichtig geschätzt, Mietausfall von jährlich ca. 100.000 €.

Wenn wir wirtschaftlich denken würden, dann könnten wir noch ein zweites „Kunst & Bühne“ aufmachen, statt jetzt das eine, was wir haben, zu schließen.

Das Kartel des Schweigens zwischen Rat & Verwaltung in Sachen Nordwall kostet uns täglich Geld – und Stadtsanierung durch Verwahrlosung kann kaum funktionieren.

Wer jetzt – auf Teufel komm' raus – die Gegenläufigkeit retten will,

läuft in die nächste Sackgasse. Denn wer eine Verkehrswende will und wer die Altstadt attraktiv halten will, kann sie doch nicht ernsthaft für einen West-Ost-Verkehr aufmachen. Wer Zukunft für den Nordwall will, muss jetzt eine Planung vorlegen, die den Verkehr dort nicht vergrößert, sondern ihn deutlich vermindert. Nur so ergibt sich Attraktivität für Wohnen und Einzelhandel.

Da ich seitens der anderen Ratsfraktionen keinerlei Vision sehe, außer eben den Verkehr in der Innenstadt zu erhöhen,
da ich seit sechs Jahren nicht eine einzige ernsthafte Diskussion zu diesem Thema erlebt habe, sei es um die steigenden Immisionsbelastungen , oder darüber, dass das Verkehrsgutachten zu dem Schluss kommt, dass es kaum zu Enteignungen führen kann,
da ich mittlerweile weiß, dass das erste Verkehrsgutachten zum Nordwall ebensowenig in den Akten hier im Hause vorhanden ist wie die Schadstoffmessungen, die 201- durchgeführt wurden,
da es eine riesige Belastung für Bewohner und Arbeitnehmerinnen im Nordwall ist, zu was dieser merkwürdige Schwebezustand denn eigentlich führen soll,
habe ich im Finanzausschuss jüngst mein Verlangen geäußert das sich bitte die anderen Fraktionen endlich zu dieser Vorgehensweise erklären mögen. Ich erinnere hier & jetzt daran!

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Die Finanzausschusssitzungen zum diesjährigen Haushalt konnten im Rekordtempo absolviert werden. Das ist so, weil es nichts mehr zu verteilen gibt und weil nicht einmal mehr der Rotstift angespitzt werden muss. Denn wirklich zu streichen gibt es auch noch kaum etwas.

Das führt leider zu einer Entpolitisierung der Kommunalpolitik. An der Oberfläche wird dies deutlich darüber, dass wir folgendes immer öfter erleben: Positionen der Verwaltungsspitze werden als Ergebnisse präsentiert, die einer Zustimmung durch den Rat eigentlich gar nicht mehr bedürfen. Es ist die falsche Logik der Alternativlosigkeit.

Ich fände es schade, wenn sich der Rat davon überwältigen lässt. Aber für mich hat es den Anschein. Nehmen wir die einfache Frage, ob und wie dieser Haushalt hier und heute eine Mehrheit finden wird. Als ich am Dienstag aus der Verwaltungsausschusssitzung herausgegangen bin, habe ich es, ehrlich gesagt, nicht gewusst.

Läuft hier heute am Ende eine Art Zufallsgenerator. Worauf hoffen die Fraktionen, die den Oberbürgermeister und seinen Haushaltsplan unterstützen? Kommunalpolitik ist Politik. Und das heißt doch, dass die großen Fraktionen bemüht sein müssten, eine Mehrheit für den Haushalt zu organisieren. Das gilt insbesondere für die CDU-Fraktion. Ich sehe das leider nicht.

Statt dessen hat sich in dem vergangenen Jahr etabliert, dass unser Oberbürgermeister mit „Lösungen“ aus der Deckung kommt, an der zuvor die Politik nicht mitgewirkt hat.

Auch da ist der Nordwall ein trauriges Beispiel. Wie durch die Presse zu erfahren war, wird er uns im Frühjahr präsentieren, was werden soll. Hat jemand von ihnen hier daran mitgewirkt?

Wohl kaum. Wie auch die Dauerbrenner Ratsparkplatz in der Innenstadt oder etwa die Goldene Sonne. Wir laufen mit Galopp in eine Richtung, wo der Rat sich selbst überflüssig macht.

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Ich will an einem weiteren Punkt deutlich machen, worum Kommunalpolitik Politik ist.

Die nächste wichtige Entscheidung, vor der wir stehen, ist die Rückübertragung der Jugendhilfe auf den Landkreis. Das ist in hohem Maße haushaltsrelevant, wird aber durch den Fahrplan der Verwaltung praktisch außerhalb geregelt. Wir finden, dass das so nicht geht. Irgendwer muss mal eine politische Gesamtverantwortung für den Laden übernehmen – und da es keine Mehrheitsfraktion gibt, sollte dafür wohl so etwas wie eine Koalition gebildet werden.

Ich nehme die Jugendhilfe als Beispiel:

„Stadt spart 2,8 Millionen“ titelte die CZ nach der Vereinbarung zwischen Landrat Wiswe und Oberbürgermeister Nigge. Zunächst einmal nervt, dass der Eindruck entsteht, die Sache sei entschieden. Dem ist nicht so. Es gibt einen Rat und es gibt einen Kreistag. Und ich fände gut, wenn die Verwaltungschefs das mal deutlicher kommunizieren würden. Das zur Form.

Jetzt zum Inhalt: Niemand erklärt den Bürgerinnen und Bürgern verständlich, wieso die Stadt 2,8 Millionen „sparen“ könnte. Lesen Sie die Presseartikel und lesen Sie die Vorlagen. Da ist von Synergieeffekten die Rede und anderem Kleinkram.

Dabei geht es ums Prinzip und das ist einfach: Die Stadt wollte bisher Träger der Jugendhilfe sein. Und dafür hat sie eine sogenannte Interessensquote in Höhe von 20 % der Gesamtkosten übernommen. Das ist auch der Kern der gültigen Finanzvereinbarung.

Anders gesagt: Der Landkreis erstattet für Leistungen, für die er eigentlich zuständig ist, nur 80 Prozent der Kosten. Und wenn die Stadt die Aufgaben zurückgibt, muss er 100 Prozent zahlen. Ich finde, dass diese einfache Geschichte in der Öffentlichkeit völlig verschleiert wird.

Denn was heißt das? Im wesentlichen doch Folgendes: Nichts wird billiger. Die öffentliche Hand in ihrer Gesamtheit spart nicht mehr als Peanuts. Und für die Gesamtheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler sieht es genauso aus. Oder sogar noch schlimmer, denn die Mieten für die Mitarbeiterbüros soll der Landkreis auch übernehmen – und dadurch wird für die Steuerzahler das Ganze sogar noch teurer.

Warum dafür dann der Aufwand? Wenn – und so tun ja alle – die Auffassung vorherrscht, dass die Jugendhilfe der Stadt Celle gut ist, muss man inhaltlich eigentlich nichts ändern. Warum verzichtet der Landkreis nicht einfach auf die Interessensquote und zahlt die 2,8 Millionen an die Stadt, die er im anderen Fall ja aus dem eigenen Haushalt demnächst sowieso finanzieren muss? Rechtlich spricht nichts dagegen.

Der Ratsvorsitzende hat jüngst eine alternative Lösung angefragt. Ich finde, das ist sie. Der Landkreis zahlt das Geld, was er anschließend sowieso aufbringen muss, einfach an die Stadt.

Es gibt eine fachliche und sachliche Seite, die bei allen Entscheidungen im Zentrum stehen sollte. Aber: Die CDU kann nicht ernsthaft erwarten, dass Fraktionen, die aus inhaltlichen Gründen gegen die Übertragung der Jugendhilfe an den Kreis sind, jetzt diesem Haushalt zustimmen. Und dabei geht es nicht darum, ob das jetzt schon im Haushalt steht oder nicht. Es geht um Politik und nicht um Verwaltung.

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Der Ratsvorsitzende hat jüngst in einem Beitrag auch die Gewerbesteuersituation in den Blick genommen, dabei aber die Ursache auf die schlechte Geschäftssituation reduziert. Wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir nicht registrieren, dass große Unternehmen der Erdölzulieferindustrie Modelle anwenden, um die Zahlung auch bei guter Geschäftssituation zu vermeiden. Aus meiner Sicht ist es eine Aufgabe der im Bundestag vertretenen Parteien, endlich dafür zu sorgen, dass diesen Steuervermeidungstricks ein Riegel vorgeschoben wird.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit